20110411

#032 // childhood.

Früher Morgen, nach vier Uhr, vor kurzem

  Heute Nacht habe ich gegen vier Uhr #t vor seiner Haustür abgesetzt, danach auf meinem restlichen Heimweg wie gewöhlich durch die Radiosender geschaltet. [Ich kann mir die gewöhliche Popmusikscheiße nicht antun. Demnächst gibt's dazu auch mal was.] Plötzlich landete ich bei einem alten Hit von Jennifer Lopez, genaugenommen bei "Jenny from the Block" von 2002. Das Mädel ist ja mittlerweile auch schon über vierzig und nach meinem Empfinden vollkommen in der Versenkung verschwunden. Nebensächlich. Damals, mit meinen elf Jahren fand ich das Lied grauenvoll, es ging mir fürchterlich auf den Keks. Vorhin im Auto habe ich das Lied aber tatsächlich bis zum Ende angehört und danach erst weitergezappt. Ein Freund von mir hatte es mir kurz nach der Veröffentlichung, hochmodern damals, auf CD gebrannt und obwohl ich es ausgesprochen selten gehört habe, kam doch die eine oder andere Erinnerung hoch.


 
  Besonders ein Gedanke ließ mich nicht mehr los: Vor knapp zehn Jahren habe ich nicht ansatzweise darüber nachgedacht, dass ich dieses Lied einmal nachts um vier alleine im Auto meiner Mutter hören würde, was sogar älter als der Song selbst ist. Ich habe nicht daran gedacht, dass ich dieses Lied nach fast einem Jahrzehnt wieder höre, Student am Bodensee bin, mir über meine Zukunft Gedanken mache, mich frage, wann ich weit von daheim kennengelernte und lieb gewonnene Menschen endlich wiedersehe und ob ich mich nachts noch an meinen Rechner setze, der auch nur ein-zwei Jahre jünger ist als der Song, um diesen Artikel hier zu tippen. Ich wusste nicht, dass ich Freunde, die ich damals nicht kannte in Frankreich besuche, dass ich irgendwann ein Rad im System werde oder bis mittags schlafe, um das dröhnende Gefühl im Schädel nicht ertragen zu müssen. Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass mir diese Gedanken kommen, wenn ich dieses eine für mich damals so unglaublich unbedeutende Lied nach Jahren wieder höre. Das alles wäre mir wohl auch vollkommen gleichgültig gewesen.

  Vielmehr habe ich an die nachmittäglichen Hausaufgaben gedacht, die ich möglichst schnell erledigen wollte, um möglichst schnell möglichst viele möglichst waghalsige Lego-Konstruktionen zu bauen, während ich eine alte, von meinem Vater stibitzte, damals bereits über zwanzig Jahre alte, von ihm aus dem Radio aufgenommene Kassette hörte. Dinge wie Zukunft, verfliegende Zeit, Wachsein um vier Uhr, Erinnerungen an das Lied von J.Lo wurden nicht ansatzweise bedacht. 

  Das mag vielen der wenigen, die das alles gelesen haben inhaltlich leer vorkommen, doch ist es einerseits wundervoll, welche Erinnerungen bestimmte Gedankenketten auslösen und andererseits erschreckend, was aus der einstigen Leichtigkeit für eine bedrückende Schwere geworden ist. Erinnerungen an die Kindheit sind selten in ihrer einstigen, so anmutigen Naivität einladend und genießbar, an ihnen haftet zumeist das bedrückende Gefühl der verlorenen Unschuld in grauer Routine und Anpassung.

  Trotzdem ist man für die Erinnerungen dankbar, man verliebt sich in einst ungemochte Dinge, die damals für lange Zeit links liegen blieben, und eines Tages für kurze Momente Einsicht schenken in


*chhrrt* #a Over.



[Das Lied lief, soweit ich mich erinnere auf hr1 oder einem vergleichbaren Oldie-Sender. Wenn die Lieder aus der eigenen Kindheit dort laufen, kann man sich sicher sein, dass die eigene Generation ihre Jugend ausgehaucht hat.]

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